Bütowersche Vertellkes. Gesammelt und erzählt von Hans-Joachim Heß © 1983-2001
Frankenberg 1983, S. 31-34


Einführung in die Rindvieh- und Schweinezucht

Je näher der Schulabschluß an der Mittelschule heranrückte, je mehr machte sich eine zunächst unerklärliche Unruhe unter den Mädchen bemerkbar. Die Abschlußprüfung konnte es nicht sein. Wenn hier einer etwas zu befürchten hatte, dann war der Betreffende eher bei den Jungen zu suchen. Nein, daran konnte es nicht liegen. Aber was hatten dann diese sorgevollen und gleichzeitig ratlosen Blicke in den Pausen zu bedeuten? Die ganzen Jahre war bei uns eine vorbildliche Klassenkameradschaft zu beobachten gewesen, und jetzt kapselten die Mädchen sich zeitweilig ab und steckten alleine die Köpfe zusammen. Das hatte es noch nie gegeben.

Kurz vor den Prüfungsarbeiten zog mich auf dem Schulhof überraschend eine Klassenkameradin, nennen wir sie mal Trautchen, zur Seite und fragte, ob unser landwirtschaftlicher Betrieb ein Lehrbetrieb sei. "Ja, natürlich", sagte ich, "aber was geht das dich an?" Bei mir war der Groschen immer noch nicht gefallen. "Ja, weißt du, das ist so, wir müssen doch unser Landjahr machen, und da wäre es schon prima, wenn ich das bei euch machen dürfte."

Nun war die Katze aus dem Sack. Deshalb also das ganze Getue. Die Angst davor, wo man eventuell hinkommen könnte, war es also! Anscheinend hatten sich in den Köpfen mancher Städter einige komische Vorstellungen über manche Bauerndörfer bei uns im Kreise eingenistet. "Könntest du zu Hause mal fragen, ob das möglich wäre?" "Das will ich gerne tun. Ja, das wird wohl möglich sein." Und hier war schon der Wunsch der Vater des Gedankens. Zu Hause einige Fragen seitens der Eltern, ich Trautchen natürlich in den allerbesten Farben geschildert und hurra, die Sache war geritzt, sie durfte kommen! Sie kam dann auch, und Bauer wie Bäuerin hatten niemals den geringsten Anlaß, ihre gegebene Zusstimmung zu bereuen. Im Gegenteil, es dauerte nicht lange und meine Klassenkameradin hatte sich so eingelebt und eingearbeitet, daß man glauben konnte, sie hätte in ihrem Leben niemals etwas anderes gemacht. An allem äußerst interessiert, waren ihr Haus, Garten und Geflügelhof bald nichts Neues mehr. Ein alter Bauer faßte einmal alles in einem knappen Satz zusammen: "Dat Mäke is för't Land gebore!"

Da nun Garten, Geflügelhof und Hausarbeit nicht die ganze Landwirtschaft sind und auch nach Meinung unserer fleißigen Elevin noch einiges mehr dazugehört, wollte sie im weiteren Verlauf ihrer Lehrzeit als nächstes erst einmal melken lernen.

Alle Einwände, daß das nicht erforderlich ist und auch nicht zu den Tätigkeiten eines Landjahrmädchens gehört, ließ sie nicht gelten. Wer auf dem Lande zu Hause ist, muß auch melken können, und davon ließ Traute sich nicht abbringen. Also, was blieb in solch einem Fall dem Bauern, der ja gleichzeitig auch der Lehrherr war, übrig, er mußte seinem Schützling das ABC des Melkens beibringen. Das fängt mit der Anatomie an, geht über die Hygiene und endet mit der praktischen Anleitung. Besonderer Wert wird dabei auf ein sauberes Euter gelegt. Es ist deshalb vor dem Melken mit einem Strohwiepen gründlich abzuwischen. So weit, so gut. Die theoretischen Anleitungen waren beendet, und nun konnte die praktische Ausführung beginnen.

Für die ersten Übungen wurde ihr eine Kuh benannt, die lange Striche hatte und sich sehr leicht melken ließ. Das Rindvieh hieß Erna und hatte die Kontrollnummer 2.

Unsere Traute bewaffnete sich nun mit Melkeimer und Melkschemel, setzte sich unter den ihr anempfohlenen Milchlieferanten oder unter das, was sie zunächst dafür hielt, und das Schicksal nahm seinen Lauf.

Zuerst wurde ein Strohwiepen genommen, man denke an die Hygiene, und der Kuh das Euter gesäubert. Dabei fiel ihr dann doch zweierlei auf: erstens war das Euter recht klein und saß sehr weit hinten. Wohl eine Abnormalität, soll es ja geben. Zweitens waren, und das ist nun doch sehr komisch, keine Striche zu finden. Eigenartig.. .!

Wem diese ganzen Umstände aber auch noch recht eigenartig vorkamen, war das Rindvieh selbst, unter dem unsere zukünftige Melkmeisterin saß und noch immer nach den Strichen Ausschau hielt. Die ganze Szenerie war doch so komisch und reizte die Lachmuskeln derart, daß nun auch Trautchen begriff, daß man ihr einen Streich gespielt und die ihr anempfohlene Erna mit dem Gott sei Dank gutmütigen Bullen Gottlieb vertauscht hatte. Traute war aber kein Spielverderber, und nach einer kleinen Balgerei wurde dann doch noch mit Erfolg gemolken.

Natürlich war ihr auch der Schweinestall und seine in des Wortes wahrster Bedeutung quicklebendigen Bewohner nichts Unbekanntes mehr. Daß die ganze Schweinerei ein unheimlich lautes Organ hatte, ihren Hauptlebenszweck in der Fresserei sah, ansonsten schlief oder stank oder auch beides zur gleichen Zeit tat, war für sie das Natürlichste von der Welt, das mußte eben so sein. Traute kannte auch schon den schönen Spruch,

daß es der Eber gar nicht schicklich fand,
daß seine Kinder Ferkel sind,
und auch nicht nur die alte Sau alleine,
die ganze Familie - alles Schweine!
Auch hier waren also Fortschritte zu verzeichnen.

Eines mußte sie aber doch seit längerer Zeit beschäftigt haben, auf das sie keine Antwort fand.

Eine Stute hatte ein Fohlen, die Kuh ein Kalb, ein Schaf hatte ein, bestenfalls zwei Lämmer und diese Schweinebande, die vermehrte sich nicht, die vervielfältigte sich. Das konnte doch bald nicht mir rechten Dingen zugehen. Antworten auf diesbezügliche Fragen wurden stets mit einem ungläubigen Blick bedacht.

Der Zufall sollte ihr hierauf eine Antwort geben. Zufällig hörte unsere angehende Bäuerin, wie mein Vater mir auftrug, die eine Sau zum Eber zu treiben, etwas ganz Alltägliches. Trautchen fragte, ob sie mitkommen könnte, und ich hatte keine Einwände, warum nicht. Wir zogen also beide mit der dicken, verliebten Schweinemama los, und unterwegs muß mich wohl der Teufel geritten haben und dies in Form einiger Erläuterungen zu dem, was da jetzt geschehen sollte.

"Trautchen", sagte ich, ohne auch nur eine Miene zu verziehen, "wenn du jetzt gut aufpaßt, kannst du schon heute wissen, wieviele Ferkel die Sau bekommt." "Wie geht das denn," kam die etwas ungläubige Antwort. "Ganz einfach, wenn der Eber die Sau deckt, bleibt er eine gewisse Zeitspanne oben und plinkert immer mit den Augen. Deine Aufgabe ist es jetzt, genau dieses Plinkern zu zählen. So viele Male der Eber die Augen zukneift, soviele Ferkel bekommt die Sau."

Ich muß diese Weisheit doch wohl in einer recht einleuchtenden und überzeugenden Art und Weise rausgebracht haben.

Während des Mittagessens unterrichtete meine gelehrige Schülerin dann den alten Herrn wie folgt: "Übrigens, Onkel Fritz, die Sau bekommt neun Ferkel." "Aber Kind, woher willst du das denn wissen?" "Ja, der Eber hat doch neunmal die Augen zugekniffen."

Vater wußte natürlich sofort, aus welchem Knopfloch der Wind wehte, und wumms - hatte ich eine sitzen!

Anzumerken wäre noch, Ironie des Schicksals, die oben angeführte Sau warf später tatsächlich neun gesunde Ferkel.

Ob das aber auf die Augenzwinkerei des Ebers zurückzuführen ist, bleibt weiterhin eine offene Frage.


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