Damals im Kreis Bütow. Geschichten aus dem Kreis Bütow von Georg Sonnenburg © 1991-2001
Erstveröffentlichung in: Die Pommersche Zeitung
Wiederabdruck in: Georg Sonnenburg, "Damals im Kreis Bütow" Frankenberg 1991, S. 26-33


Die Schatzgräber

Der Frühlingstag war genau so schön wie das Gesicht einer jungen Frau. Schon früh am Morgen lachte der Sonnenball vom makellos blauen Himmel, an dem ganze Scharen von Schwalben auf der Jagd nach Insekten hin- und herschossen. Im nahen Wald schmetterten Buchfink und Singdrossel um die Nette, über dem Hochmoor meckerten die Himmelsziegen und von den weißen Mooren drang das Trompeten der Kraniche herüber, die dort Hochzeit feierten. Alle Kreatur freute sich des Lebens und Heinrichs Emil auch.

Er zog schon seit aller Herrgottsfrühe Furche um Furche über den Acker, und als die Bauern aufs Feld fuhren, da hatte er schon ein ansehnliches Stück umgepflügt. Weil das nicht gerade oft vorkam, machten sie dazu ganz runde Augen. Kein Wunder also, daß Emil lustig und guter Dinge war und vor lauter Freude ein Liedchen vor sich hintirilierte. Jawohl, er tirilierte das Liedchen vor sich hin, denn singen konnte er nicht, weil er total unmusikalisch war. Sein Liedchen verschreckte denn auch die beiden Nebelkrähen, die eben noch emsig in der Furche hinter ihm Engerlinge, Drahtwürmer und andere Leckerbissen aufgelesen hatten und beäugten ihn nun mißtrauisch von der alten Eiche am Feldrand herunter mit schief gehaltenen Köpfen. Solcherart Lautäußerungen hatten sie in ihrem ganzen Krähenleben noch nicht vernommen.

Emil schritt hinter seinen beiden abgerackerten Zossen her, beide Hände an den Pflugholmen und tirilierte unbeirrt weiter. Auf der einsamen Feldmark fühlte sich außer den beiden Krähen niemand gestört, und das war gut so, weil sonst leicht jemand hätte denken können, er hätte schon zu dieser frühen Stunde wieder "einen genascht". Daß er nämlich öfter mal "einen naschte", das wußte im Ort jedes Kind. Und tatsächlich hatte er an diesem lauen Morgen schon wieder eine knappe Handbreite aus der Flasche genuckelt, die gutgetarnt im Kaddikbusch oben am Feldrand stand.

Da gab es auf einmal ein Knirschen und Krachen, der Pflug schnellte mit einem Satz aus der Erde und die erschrocken vorpreschenden Pferde rissen Emil so heftig mit, daß er längelang auf den Boden schlug und an der über den Rücken hängenden Leine ein ganzes Stück mitgezogen wurde. Als er das Gespann endlich zum Stehen gebracht und sich aufgerappelt hatte, wischte er sich den Sand aus dem Gesicht und fluchte halblaut vor sich hin. Seine Hochstimmung war jäh verflogen, und er drohte mit dem Peitschenstiel wütend zu den Krähen hinüber, die sein Mißgeschick mit höhnischem Krächzen begleitet hatten.

Endlich zoppte er die Pferde an der Leine zurück und setzte den Pflug dort, wieder ein, wo er aus dem Boden gesprungen war. Da er aus Erfahrung wußte, daß er auf einen der vielen Eiszeitfindlinge gestoßen war, ließ er die Gäule jetzt langsam antreten. Am oberen Feldrand hielt er aber erst mal an, ließ die Tiere grasen und eilte mit großen Schritten zum Kaddikbusch. Dort sah er sich zuerst wie ein Dieb noch allen Seiten um, ehe er sich den verdienten Schluck genehmigte. Zuvor rieb er aber noch den Korken quietschend am Flaschenhals hin und her, was seine Vorfreude auf den Trunk stets erheblich beflügelte. Als das köstliche Gesöff durch seine durstige Kehle geronnen war, verwahrte er die Flasche wieder an ihrem schattigen Platz und kehrte, genüßlich rülpsend, zu seinem Gespann zurück.

Solchermaßen gestärkt, trieb Emil die Gäule zu schnellerer Gangart an und hatte den Findling längst vergessen, als es abermals knirschte und krachte und er um ein Haar wieder auf die Nase gefallen wäre "Dat goht to wiet!" stellte er halblaut fest und kennzeichnete die Stelle mit einem Queckenbüschel. Von jetzt an paßte er besser auf, so daß ihm kein weiteres Unheil passierte.

Der Pflug streifte den Findling genau achtmal, was Emil zu Recht höchst ungewöhnlich fand, denn die Oberfläche des großen Stein, schien vollkommen eben zu sein. Ihm kam deshalb ein bestimmte Verdacht, und nach der nächsten Feldumrandung, bei der er sich beim Kaddikbusch noch einmal gestärkt hatte, ging er der Sache auf den Grund. Er buddelte mit den Händen an allen vier Kanten des Steins Löcher in den Boden und fand seine Vermutung bestätigt es handelte sich um eine Steinplatte, die er gefunden hatte. Jetzt gab es für ihn nicht mehr den geringsten Zweifel, daß er auf eine, jener Steinkistengräber gestoßen war, die es am Rande des großen Hochmoors bei Bresinke gab und die noch aus der Germanenzeit stammten, als das Moor ein fischreicher Flachsee gewesen war.

Schröders Willem und Brauns Albert hatten auch schon solche Grabstätten gefunden, und deshalb galt es auch besonders vorsichtig zu sein. Braun, ein Wichtigtuer, der er war, hatte nämlich seinen Fund gemeldet, worauf aus Stolp so'n paar komische Heinis gekommen waren, Archelogen oder so ähnlich geheißen, die einen regelrechten Zirkus angestellt hatten. Braun war den ganzen Sommer hindurch nicht mehr auf sein Feld gekommen, und die Entschädigung dafür war ganz und gar nicht üppig gewesen. Nee, das sollte ihm, Emil, nicht passieren! "Dat mok ji mit mi nich".. redete er vor sich hin und wiederholte energisch: "Mit mi nich!"

Was ihn allerdings stutzig machte, das war die Größe der Steinplatte. Sie maß ungefähr anderthalb Meter im Quadrat und ließ auf ein ungewöhnlich großes Grab schließen. Die Gräber bei Schröder und Braun waren bei weitem nicht so groß gewesen. Große Gräber, aber das war früher nicht anders als heute, konnten sich nur reiche Leute leisten. Es gab daher nur diese Erklärung: Emil hatte das Grab eines altgermanischen Fürsten entdeckt!

Was lag jetzt näher, als sich beim Kaddikbusch noch einmal ganz gehörig "einen zu genehmigen". Dabei fiel Emil ein, daß Marotzen Muffel aus Waldliebe, das früher Wussowske hieß, auf seinem Feld am gegenüberliegenden Moorrand einen ganz ähnlichen Fund gemacht hatte. Auch er hatte den Fehler begangen, seinen Fund diesen seltsamen "Archelogen" zu melden, und die hatten neben mehreren Urnen auch Schmuck in dem Grab entdeckt, der ziemlich wertvoll gewesen sein sollte. Eine Halskette und ein paar Armreifen aus "Purem Gold", wie Muffel vermeldet hatte, wobei festzustellen bleibt, daß er "pures Gold" vermutlich sein Lebtag noch nicht gesehen hatte.

Als Emil wieder hinter seinen Zossen über den Wrukenacker schritt, beschäftigten ihn höchst angenehme Gedanken, denn diese Reichtümer würde er ganz allein bergen und bei einem Trödler verscherbeln. Erwähnt werden muß an diesem Punkt, daß es Heinrichs Emil seit einiger Zeit wirtschaftlich nicht mehr besonders gut ging. Er hatte seinen Hof zwar erst vor drei Jahren schuldenfrei von seinen inzwischen verstorbenen Eltern geerbt, aber es war ihm nicht gelungen, deren bescheidenen Wohlstand zu mehren. Schuld daran trugen nach seiner Auffassung zwar die wenig ertragreichen Ernten der letzten Jahre, aber in Wahrheit ließ er keinen Wochenmarkt in Bütow aus und schacherte dort mit allem und jedem. Von diesen Wochenmärkten kam er meist mit einem Pferd oder einer Kuh zurück, die immer ein bißchen schlechter waren als die, die er nach dort mitgenommen hatte. Und da der Erlös immer gleich an Ort und Stelle in Alkohol umgesetzt wurde, wunderte der Krebsgang auf seinem Hof eigentlich niemand. Merkwürdigerweise ließ ihn seine herzige Frau, die ihm alljährlich neue Vaterfreuden bescherte, gewähren und nahm ihn anderen gegenüber auch noch in Schutz. "Min Emil wett all, wat hei meckt", meinte sie treuherzig bei solchen Gelegenheiten.

Die Wruken waren auf dem Acker längst angewachsen, da ging Emil noch immer mit seinem ungehobenen Schatz schwanger, dabei hatte er, wo er ging und stand, nichts anderes mehr im Sinn. Es gab da nämlich noch eine Schwierigkeit, denn er konnte die schwere Steinplatte über dem Grab unmöglich allein anheben. Aber wen sollte er in sein Geheimnis einweihen? Das war eine schwer zu beantwortende Frage. Er hatte seine Nachbarn längst alle vor dem geistigen Auge Revue passieren lassen, aber keiner von ihnen kam ihm vertrauenserweckend genug vor. Endlich kam er bei seinem Grübilieren auf Schröders Erich, der sich in einer ganz ähnlichen Situation befand wie er selbst. Eschke, wie man ihn allgemein nannte, stand das Wasser auch bis an die Unterkante der Oberlippe.

Schröders Erich - also Eschke - hauste mit seiner starkzähligen Sippe in einem schon reichlich baufälligen Katen am Dorfeingang, der im Volksmund bezeichnenderweise "Emkenschloß" genannt wurde. Eschke und kein anderer war der Mann seines Vertrauens, denn nichts verbindet bekanntlich mehr als gemeinsames Mißgeschick. Beide wurden sich auch ungemein schnell einig und versprachen einander in die Hand, niemandem auch nur ein Sterbenswörtchen von ihrem Vorhaben zu verraten. Dann gingen sie in "Borks Krug" und feierten im Vorgriff auf den zu erwartenden Reichtum ein wahres Jubelfest, wobei sich Eschke um ein Haar doch noch verplappert hätte. Denn als die olle Borschke die beiden nach dem Grund ihrer Feier fragte, redete Eschke lallend etwas von einem alten Grab, und Emil konnte gerade noch eingreifen und verbessern: "Hei meint, dat hei 'ne Erbschaft mokt hät." Borksche sorgte natürlich prompt dafür, daß diese Neuigkeit die Runde machte, aber das konnte den beiden Habenichtse, denen der Reichtum ja schon ins Haus stand, nur recht sein.

An einem düsteren Juniabend, als die Schafskälte klamme Finger machte, trafen sie sich heimlich hinter Emils Scheune in Bresinke und tranken sich in der Dämmerung erst mal gehörig Mut an für ihr Unternehmen. Als sie dann mit verschiedenen Werkzeugen, einem guterhaltenen Kartoffelsack für die Schätze und einer Stallaterne feldeinwärts schritten, fragte Eschke, mit einem Schluckauf kämpfend, neugierig: "Woweel Guld ward do denn nu woll in sinn, Emil?" Er blieb stehen und sah Emil erwartungsvoll an. "Schlecht to seggen", brummte der, weil ihn der Schnaps auch schon halb dammlich gemacht hatte, "dat kimmt drup an, wat et för'n Fürst west is." Eschke gab sich mit dieser präzisen Auskunft zufrieden und sie gingen weiter. Bald standen sie vor der fraglichen Stelle im Wrukenfeld, die ein kleiner Steinhaufen unauffällig markierte. "Ober - wenn nu gor keen Guld in is?" fragte Eschke zweifelnd, gerade als Emil die Brechstange ansetzte. "Do kast beruhigt sinn, Eschke", erwiderte Emil mit unerschütterlicher Zuversicht, "sonem Stammeshüptling hebbe se ümmer sin chanzet Hab un Gaud mitgewt. Dat wär domols noch chanz anners as hüttodog." "Ach so", brummte Eschke erleichtert. Es zeigte sich, daß es nicht einfach war, die tonnenschwere Steinplatte anzuheben. Erst als Eschke die Idee hatte, den mitgebrachten Heubaum als Hebel anzusetzen, gelang es, und Emil zündete mit vor Aufregung zitternden Händen die Laterne an. Sein Herz schlug einen Freudenwirbel, als er in der rechteckigen Grabkammer vier gleichgroße Urnen entdeckte. Allem Anschein nach handelte es sich um die Ruhestätte einer ganzen Fürstenfamilie. Blieb nur zu hoffen, daß die Familie auch wohlhabend gewesen war. Noch aber war der Spalt nicht groß genug, um an den Schatz heranzukommen. Sie setzten deshalb ab, legten zwei Steine unter und hebelten abermals. Während sich Eschke mit aller Kraft gegen den Heubaum stemmte, holte Emil endlich die erste Urne hervor und schüttete den Inhalt auf den ausgebreiteten Kartoffelsack. "Is Guld in?" fragte Eschke ungeduldig, weil ihm langsam die Kräfte versagten. "Mutt irst kiek"l, sagte Emil, dessen Finger in dem Aschehaufen herumwühlten. Außer ein paar verkohlten Knochenstücken fühlte er jedoch nichts und vermeldete kläglich: "Ick kann nuschtnich finde ... "

Noch war er aber nicht entmutigt, und weil ihn die Geldgier ruchlos machte, schüttete er wahllos auch den Inhalt der anderen Urnen auf den Kartoffelsack und rührte mit wachsender Verzweiflung darin herum. "Höst all wat?" erkundigte sich Eschke zu allem Überfluß schon wieder. Seine japsenden Atemzüge verrieten, daß er die schwere Platte nicht mehr lange halten konnte. "Wedder nuschtnich", antwortete Emil gepreßt und füllte die verstreute Asche achtlos in die Urnen. Er stellte die Gefäße mit müden Bewegungen wieder an ihren Platz, worauf Eschke den Heubaum losließ und die Steinplatte krachend niederschlug.

"Nu is't ut mit Huldas Liebe!" In diesem Ausruf Eschkes lagen seine ganze Enttäuschung und Niedergeschlagenheit, denn sein Traum vom schnellen Reichtum war jäh zerronnen. "Hull din Mul!" schneuzte Emil ihn fuchtig an. "Du hast ober doch seggt ... " Er verstummte unter Emils strengem Blick, setzte aber doch noch aufmüpfig hinzu: "Do hebbe wi uns aber chanz scheen anschete!" Emil gab keine Antwort, sondern blies die Laterne aus. Er war genauso deprimiert wie Eschke, wollte es aber nicht zugeben. Endlich holte er die noch halbvolle Schnapsflasche aus der Rocktasche und trank gluckernd ein paar Schlucke. Den Rest kriegte Eschke, der damit gleichfalls seinen Kummer hinunterspülte. Dann suchten sie ihr Werkzeug zusammen und verließen schweigend und mit hängenden Nasen den Ort, den sie mit so großen Hoffnungen aufgesucht hatten. Als sie Sich bei Heinrichs hinter der Scheune trennten, ging jeder wortlos in seine Richtung davon. Es ist nicht bekannt geworden, daß sich die beiden noch einmal als Schatzgräber betätigt haben.


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