Damals im Kreis Bütow. Geschichten aus dem Kreis Bütow von Georg Sonnenburg © 1991-2001
Erstveröffentlichung in: Die Pommersche Zeitung
Wiederabdruck in: Georg Sonnenburg, "Damals im Kreis Bütow" Frankenberg 1991, S. 1-5


Die Senfkatze

Sie saßen in der Gaststätte Erdmann in Neukrug zusammen und machten sich blauen Dunst vor. Am lautesten krakeelte Förster Senkel, der wie immer, das große Wort führte. Revierförster Borraß warf nur dann und wann mit seiner Baßstimme ein Wort ein, das wie Donner grollte. Den beiden trinkfesten Grünröcken gegenüber saß ihr pensionierter Kollege Ferch, ehemals Hegemeister, der schweigend zuhörte. An den Nebentischen drängten sich Waldarbeiter aus Jassewo, Eisenbahner vom nahen Bahnhof und ein paar Bauern aus Lupowske und Pomeiske. Draußen herrschte ein richtiges Sauwetter, und der Novembersturm ließ den Regen nur so gegen die Fensterscheiben prasseln. Es war ein Wetter, bei dem man gern zusammenrückt und ein wärmendes Glas Grog oder ein Klarer guttut.

Senkel hatte gerade die schon oft erzählte Geschichte vom Hauptschwein Gottlieb am Wickel, das sage und schreibe aufgebrochen vier Zentner auf die Waage gebracht hätte, als die Tür aufsprang und ein Fremder in die Gaststube trat. Er größte flüchtig und setzte sich allein an einen Tisch, wo er sein Abendbrot verzehrte und ein Bier dazu trank. Niemand kümmerte sich weiter um ihn, denn jetzt wer der Revierförster mit einem Jagderlebnis an der Reihe und alles hing an seinen Lippen. Nur der Wirt musterte verstohlen den fremden Gast, der ein auffallendes Interesse an seiner jungen Katze hatte, die ein possierliches Tier war, schneeweiß bis auf ein rabenschwarzes Ohr, und die schnurrend zwischen den Tischen hin- und herlief. Erdmann war ein neugieriger Mensch, und so verfolgte er bei seiner Zapfätigkeit mit wachsendem Befremden, daß der Unbekannte das Kätzchen nicht aus den Augen ließ. Endlich ging er an den Tisch und fragte den Fremden: "Ist was Besonderes an dem Kreet?" "O ja, Herr Wirt", entgegnete der Gast mit einem geheimnisvollen Gesicht, "Sie besitzen eine Katze, die selten und deshalb sehr wertvoll ist." "Meine Katze wertvoll?" Erdmann riß vor Staunen den Mund weit auf. "Ja, es ist so", versicherte der Gast und setzte bewußt vernehmlich hinzu: "Von diesen Katzen gibt's immer nur wenige Exemplare." "Nur wenige Exemplare... ?" echote Erdmann. "Ja", bestätigte der Gast lautstark, damit es alle hörten, "nur wenige!" Wie erwartet, war man an den Nebentischen aufmerksam geworden. Borraß hatte seinen Bericht unterbrochen und sah stirnrunzelnd herüber. "Die Katze soll wertvoll sein?" Senkel schüttelte zweifelnd den Kopf. "Ja, weil es eine Senfkatze ist", nickte der Fremde. "Eine Senfkatze?!" kam es ungläubig von allen Tischen zugleich. "Eine Senfkatze!" bestätigte der Fremde energisch. "Und was hat es mit dieser - dieser Senfkatze auf sich?" forschte Erdmann begierig. "Dieses reizende Tierchen frißt am liebsten Senf"" antwortete der Gast. "Es ist regelrecht verrückt darauf und läßt dafür alles andere stehen." "Donnerwetter!" Senkel wechselte mit Ferch einen schnellen Blick. "Es ist aber soll,' erklärte der Fremde ruhig. "Nee, dat glöw ick nich", brummte Bauer Herrmann aus Klein-Pomeiske skeptisch. "Ick uck nich!" pflichtete ihm Polzins Paul aus Lupowske bei. Auch die Försterrunde machte bedenkliche Gesichter. Erdmann vermutete eine Falle und meinte listig: "Ich gehe jede Wette ein, daß meine Katze lieber Milch als Mostrich frißt." "Mostrich oder Senf, das ist dasselbe", entgegnete der Gast gemütlich, "auf jeden Fall zieht sie das Zeug allem anderen vor." "Die Wette gilt", sagte Erdmann, der ein gutes Geschäft witterte. "Ich stelle dem Tier jetzt eine Untertasse mit Milch und eine mit Senf hin, dann werden wir ja sehen. Wenn Sie gewinnen, dann haben Sie Essen und Trinken gratis ... " "Und wenn Sie gewinnen - hier sind zehn Mark." Der Fremde legte einen Schein auf den Tisch.

In der Runde herrschte atemloses Schweigen, als der Wirt die beiden gefüllten Gefäße auf die Dielen stellte und das Kätzchen herbeilockte. Das Tierchen wandte sich erwartungsgemäß dem Milchteller zu und wollte gerade zu schlecken anfangen, als der Fremde ihm gemein einen Teelöffel Senf unter das hocherhobene Schwänzchen klatschte. Die Katze fuhr erschrocken herum und begann sogleich, sich das brennende Gewürz abzulecken. Im selben Augenblick erscholl an den Tischen ein so brüllendes Gelächter, daß die Katze erschrocken unter einen Stuhl sprang und dort ihre Reinigungstätigkeit fortsetzte. Das Milchtellerchen blieb unbeachtet stehen. Während sich die Männer immer noch vor Lachen die Bäuche hielten, räumte der Wirt mit süßsaurem Gesicht ein, daß er die Wette verloren habe. Er nahm sich vor, künftig bei Wetten vorsichtiger zu sein.

An einem der Tische saß ein Bäuerlein namens Golik, das in einem Abbau von Pomeiske wohnte und die Szene mit großem Interesse verfolgt hatte. Dieser Mensch, ein Unnosel von Natur, ein sogenannter Dreibastiger, beschloß noch an Ort und Stelle, bei passender Gelegenheit auf leichte Weise an Bargeld heranzukommen, das bei ihm stets knapp war.

Schon eine Woche später kehrte er abends in Kleschinz im Dorfkrug bei Frau Stecker ein. Dort lief zu seiner Enttäuschung zwar. keine Katze im Schankraum herum, aber der Jagdaufseher aus Karlsfelde hockte an einem Tisch beim Bier, und zu seinen Füßen lag sein unvermeidlicher Teckel Walde. "Tier bleibt Tier" dachte Golik und ließ den Dackel nicht mehr aus den Augen. Es dauerte gar nicht lange, da fragte der Jagdaufseher barsch: "Was gaffen Sie denn andauernd meinen Hund an?" "Sie ham da einen ganz besonderen Hund, Herr Förster"" entgegnete Golik mit verschlagenem Grinsen.

"Von diese Hund' jibt's nich viel'." "Nana!" widersprach der Nimrod, "nu machen Sie ma'n Punkt. Selten sind Dackel ja nun gerade nicht." "Vielleicht wissen Se's noch gar nich, Herr Förster", erwiderte Golik eifrig, "aber Se haben 'n Senfhund." "Einen was?!" Es riß den Grünrock beinahe vom Stuhl. Aller Augen waren plötzlich auf den Dackel Waldi gerichtet, aber man fand nichts Besonderes an ihm, außer, daß er auf dem rechten Hinterlauf hinkte. "Ihr Dackel is'n Senfhund, Herr Förster", wiederholte Golik ungeduldig. "Reden Sie doch kein Blech, Mensch!" brauste der Grünrock auf. "Wollen mich wohl verkackern, was?" "Nee, will ich nich", widersprach der Bauer, "aber ich wett mit Sie, daß Ihr Dackel am liebsten Senf fressen tut." "Blödsinn!" raunzte der Jagdaufseher. Aber dann kam .ihm ein Gedanke und er rief: "Frau Wirtin, bringen Sie mal'n nicht angewärmtes Würstchen, aber schnell." Als Frau Stecker ihm den Wunsch erfüllt hatte, sagte er zu Golik: "Nehmen Sie schon Ihren Senfpott, Mann, jetzt werden wir es ja sehen!" Golik nickte erfreut; er war sich seiner Sache sicher. Diesem überheblichen Kerl würde er es zeigen. "Ich wett' um zehn Mark", erklärte er und legte einen Schein auf den Tisch. Der Grünrock zögerte eine Sekunde, denn der Einsatz erschien ihm reichlich hoch, aber dann nickte er und sagte: "Komm, Waldi!" und warf dem Hund die Bockwurst zu. Der schnappte danach und begann schweifwedelnd zu fressen. Im nächsten Moment schlich Golik, dieser Luntrus, heimtückisch an den Dackel heran und klatschte ihm eine gehörige Portion Senf unter den freundlich wedelnden Schwanz. Waldi zuckte zwar merklich zusammen, aber er ließ die köstliche Bockwurst nicht fahren, sondern rutschte mit dem Hinterteil auf den Dielen herum, dabei mit mächtigen .Bissen den Leckerbissen verschlingend. Den brennenden Senf wischte er bei seiner "Schlittenfahrt" ab und leckte sich dann das Maul, seinen Herrn nach einem neuen Würstchen angierend.

Golik saß wie vom Donner gerührt da, während um ihn herum die Gaststube vor Lachen dröhnte, denn die Gäste hatten seine tückische Absicht durchschaut. Jetzt war er nicht nur der geprellte, sondern auch der Blamierte, und das verkraftete er nicht so schnell.

Während der Förster seinen Dackel streichelte, bezahlte Golik zähneknirschend die verlorene Wette und verließ unter dem Hohngelächter der anderen fluchtartig das Lokal. Von Wetten hatte er für den Rest seines Lebens genug.


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