Damals im Kreis Bütow. Geschichten aus dem Kreis Bütow von Georg Sonnenburg © 1991-2001
Erstveröffentlichung in: Die Pommersche Zeitung
Wiederabdruck in: Georg Sonnenburg, "Damals im Kreis Bütow" Frankenberg 1991, S. 50-54


Eine seltsame Wette

Als Förster Borraß die Revierförsterei Eichenau übemahm, da hieß sie noch Dombrowo, und er selbst war noch ein Mann in den besten Jahren: Ein Kerl wie ein Baum mit einer Stimme, die wie Donner grollte. Wir Kinder bekamen es nicht selten mit der Angst, wenn wir diese Baßstimme nur hörten. Aber er war ein Mann mit Herz, das muß bei dieser Gelegenheit auch gesagt werden, denn wenn er uns beim Pilze- oder Beerensammeln ohne "Schein" erwischte (und wer von uns hatte schon einen solchen!), dann hallte es zwar wieder mal wie Donner durch den Wald, aber das war auch schon alles. Mir ist nicht bekannt geworden, daß Borraß jemals jemanden angezeigt hat, wer immer es auch war. Im Gegensatz zu ihm zertrat der gefürchtete Forstamtssekretär die ohne Berechtigungsschein gesammelten Früchte des Waldes gnadenlos. Ihm gingen wir deshalb auch besonders weit aus dem Wege.

Förster Borraß hatte irgendwann zwei Warmblutpferde vom Gutsbesitzer aus Groß Nossin gekauft. Tiere, die zwar schon ein paar Jährchen auf dem Buckel hatten, die aber doch noch ganz munter traben konnten, besonders dann, wenn sie warm geworden waren. Das Alter dieser beiden Kraken, wie man bei uns sagte, war es denn auch, das den Kaufmann Tesch aus Bütow bei Bier und "Schiet lot emm" im Hotel "Höllje" zu der spöttischen Bemerkung veranlaßte, daß man sie auch bald ins Pferdemuseum stellen könne. Nun regte Förster Borraß nichts so auf wie spöttische Bemerkungen über seine Pferde, die sein ganzer Stolz waren. Gewiß hatte er sie billig erworben, aber was ging das andere an? Ganz besonders dem Kaufmann Tesch sollte das doch vollkommen schnuppe sein. Schnurzegal sozusagen.

Ein Wort gab das andere, eine Lage wurde nach der anderen getrunken, wie sich's gehört, und auf einmal behauptete Borraß stock und steif, er wäre mit seinem Gespann von Dombrowo aus schneller in Bütow als mit dem Zug. Kaufmann Tesch saß wie vom Donner gerührt da ob solcher Frechheit, und auch die anderen Herren in der Tischrunde, an ihrer Spitze Apotheker Schorlepp, machten mißvergnügte Gesichter, weil Übertreibungen nun mal nicht pommersche Art sind.

Nach einer minutenlangen hitzigen Debatte machte Malermeister Mehl den "Vorschlag in Güte", man solle das alles doch in Gottes Namen durch eine Wettfahrt klären. Dann werde "man ja sehen". Dazu nickten die anderen Herren in der Runde beifällig, denn Julius Mehl hatte damit buchstäblich den Stein der Weisen gefunden. Förster Borraß schien es zwar plötzlich nicht mehr ganz wohl in seiner sonst recht dickfelligen Haut zu sein, aber er machte doch gute Miene zum bösen Spiel, wenngleich ihm der Einsatz, den Tesch bestimmte, nämlich drei Flaschen Cognac, und zwar französischer, doch reichlich hoch bemessen schien.

An einem Sonntag im August bestieg Kaufmann Tesch ein Abteil der 2. Klasse auf dem Bahnhof Jassener See, der mitten im Wald gelegen war, setzte sich sichtlich zufrieden in die grauen Polster, steckte sich eine dicke Havanna-Zigarre an, die er sich eigens für diese Fahrt geleistet hatte und blickte denn, mächtige Qualmwolken von sich blasend, in die vorbeihuschende schöne Landschaft hinaus. Ihm war wohl zumute, sauwohl sozusagen, denn es gab für ihn nicht den geringsten Zweifel daran, daß er früher als der "großmäulige Grünrock" am Ziel in Bütow sein würde.

Der Revierförster hatte tatsächlich eine schlimme Nacht hinter sich, zumal ihm seine Ehefrau heftig zugesetzt hatte, weil sie im Fall einer Niederlage nicht zu unrecht eine erhebliche Schmälerung ihrer Wirtschaftskasse befürchten mußte. Zwar standen Spinat und Zwiebeln gut im Garten, und auch die Frühkartoffeln konnten sich sehen lassen, von den Stangenbohnen ganz zu schweigen, die eine regelrechte Freude waren, aber drei Flaschen Cognac kosten nun mal ihr Geld, daran gab es nichts zu rütteln. Und dann auch noch wegen "solcher Dummheit".

Borraß hatte unter Aufsicht seinen Jagdwagen zurecht gemacht, und zur selben Minute, als der Zug auf dem nahen Bahnhof mit schwarzer Rauchwolke seine Abfahrt verriet, ruckte er an der Leine und ratterte vom Hof, daß die Hühner erschrocken nach allen Seiten auseinander flatterten. Er kam ganz gut vom Fleck und war schon an der Lupowsker Lichtung vorbei, als der "Feurige Elias" erst schnaufend und prustend um die Kurve gefahren kam. Dann aber wurde es ziemlich schnell kitzlig, weil der Zug immer rascher in Fahrt kam. Wenn auch die beiden angejahrten Gäule hergaben, was noch in ihnen steckte, beim Mutschidor, einem idyllischen Waldsee vor Neukrug, der beim Bau des Bahndamms 1903 einen Teil seiner Wasserfläche eingebüßt hatte, brauste der Zug mit dem hämisch aus dem Fenster lümmelnden Kaufmann an dem starr geradeaus blickenden Förster auf dem Bock seines Jagdwagens vorbei.

Immerhin kam nun der unvermeidliche Aufenthalt auf dem Bahnhof Neukrug, der durch das Einladen von einigen Milchkannen für Tesch zu einer regelrechten Tortur wurde, denn Borraß war mit seinen schäumenden Gäulen auf der nahen Chaussee längst vorbeigerast. Der Förster hockte zusammengekauert auf dem Kutscherbock und feuerte seine jetzt erst so richtig in Fahrt gekommenen Pferdeveteranen durch laute Zurufe zu schärfster Gangart an. Und diese schienen zu wissen, worauf es bei dieser wilden Fahrt ankam, denn sie rannten mit trommelnden Hufen und klirrenden Geschirren so gewaltig die Chaussee entlang, daß die entgegenkommenden Kirchgänger entsetzt zur Seite sprangen und sich scheu umsahen, ob dies womöglich die wilde Jagd gewesen sei.

Der rumpelnde Jagdwagen hatte längst Klein Pomeiske hinter sich gelassen und befand sich auf der Fahrt zum Gillingsee, der friedlich in einem von Wald umgebenen Tat liegt, als düstere Rauchwolken linker Hand anzeigten, daß sich der Zug unterdessen doch schon dem Bahnhof Pomeiske genähert hatte. Förster Borraß wußte, daß es jetzt darauf ankam, denn bis zum Bahnhof in Bütow, dem gemeinsamen Ziel, war es noch mindestens ein halbes Dutzend Kilometer. Zu seinem Glück stand auf dem Pomeisker Bahnhof eine ganze Batterie Milchkannen vom Rittergut zur Verladung bereit, was zu einem längeren Aufenthalt zwang, der Tesch diesmal wie eine Ewigkeit vorkam. Daran änderte auch wenig, daß er sich zur Verwunderung der Eisenbahner am Einladen der Milchkannen beteiligte; kostbare Minuten verstrichen doch, in denen Förster Borraß mit seinem rasenden Gefährt längst die Lauenburger Straße in Bütow hinunter galoppierte.

Der Zug kam endlich aber doch von Pomeiske fort, und er nahm jetzt entsprechend Fahrt auf. Borraß war mittlerweile allerdings an der Ordensburg vorüber und bog gerade in die Schloßfreiheit ein, wo er heimlich über die linke Schulter schielte, wo in einiger Entfernung die Rauchwolke der Lokomotive über den Hügeln heran kam. Und sie kam verdammt schnell näher, das mußte zugegeben werden. Beinahe gleichzeitig mit dem Zug kam der Förster am Bahnhof in Bütow an; aber eben doch nur beinahe, weil er um eine kleine Länge früher dagewesen war, was die dort postierten Sekundanten genau festgestellt hatten. Und es nützte Kaufmann Tesch wenig, daß er trotz seiner Beleibtheit vom Bahnsteig zum Ausgang noch einen Endspurt einlegte; Förster Borraß erwartete ihn vor dem Bahnhofsgebäude bereits, ihm vom Bock aus gravitätisch zuwinkend.

So gewann der Revierförster diese seltsame Wette, die verständlicherweise bloß eine Schnapsidee war. Das hinderte indes nicht daran, daß sie berühmt wurde und mindestens im "Blauen Ländchen" jene Bedeutung erlangte wie der Wettlauf zwischen dem Hasen und dem Igel auf der berühmten Heide bei Buxtehude.


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