Weitere Geschichten aus dem Kreis Bütow von Georg Sonnenburg © 1986-2001
Erstveröffentlichung in: Die Pommersche Zeitung vom 25. Juli 1992


Karo und der Herr mit den Flöhen

Strucks Adolf, oder wie sein Weib ihn zärtlich nannte, Dolfi oder Dölfchen, war ein Bullerjan, der rasch aufbrauste, und einen Spleen hatte er auch, denn er kam sich als „wat Besseret“ vor als seine Nachbarn. Letzteres lag zweifellos daran, daß sein Weib aus kaschubischem Landadel stammte und eine geborene von Tuchlinski war. Blutarm zwar, aber immerhin von blauem Blut... Spleenig an Dölfchen war zweifelsfrei auch sein Hund Karo, eine echte Promenadenmischung, von dem er sich nicht mal nachts im Bett trennte, was die geborene von Tuchlinski in den ersten Ehejahren schier zur Verzweiflung brachte, sie aber trotzdem nicht daran hinderte, ihrem Dolfi alljährlich zarten Nachwuchs zu bescheren.

Von Karos Mut und Klugheit wäre viel zu berichten, wie das bei Bastarden nicht unüblich ist, desgleichen von seinem Stammbaum, der sowohl bis weit in die Ahnenreihe der Wolfshunde wie in die der Zwergpinscher hineinreichte. Rein äußerlich war das an einem Steh- und einem Schlappohr sowie an einem rehbraunen und einem stargrauen Auge zu erkennen, von denen das eine auch noch entsetzlich schielte. Jeder Zoologe hätte mit der Entwirrung seiner Hundeahnen ein ungewöhnlich reiches Betätigungsfeld gefunden.

Mit Adolfs Spleen von „wat Besseret“ ging einher, daß er wenigstens einmal im Monat auf dem Bahnhof Jassener See den Zug nach Bütow bestieg, zweite Wagenklasse für ihn und Karo selbstverständlich, um im feinsten Lokal der kleinen Stadt zu speisen und anschließend „'ne Pulle Rotspon“ zu konsumieren.Da dies der einzige Luxus war, den er sich leistete (wohl auch nur leisten konnte), hatte sich Klothilde von Tuchlinkski, vereheliche Struck, auch daran gewöhnt. Irgendeine Freude muß der Mensch ja haben.

In besagtem Lokal in der Langen Straße hatte es anfangs gewisse Schwierigkeiten gegeben, weil der Oberkellner Karo Hausverbot erteilen wollte. Hunde hatten nun mal in dem piekfeinen Lokal nichts zu suchen, soviel stand fest. Es war Dolfi aber gelungen, die Bedenken des wackeren Mannes mit einem großzügig spendierten Zehnmarkschein zu zerstreuen, nachdem ihm dieser die Versicherung abgenommen hatte, den Hund auf keinen Fall im Restaurant „herumbiestern“ zu lassen. So lag Karo denn auch jedesmal artig unter dem Ecktisch, den sein Herrchen ausgewählt hatte, und gab zu Klagen keinen Anlaß.
Im Gegensatz zu seinem vierläufigen Gefährten genoß Adolf das Flair des Hauses, was daran erkennntlich wurde, daß er nach den Mahlzeiten zum Rotspon auch noch eine edle Havanna rauchte. Ihm kam bei seinem Tun überhaupt nicht in den Sinn, daß er nach Herkommen und Gesinnung hier absolut nichts zu suchen hatte. Immerhin verkehrten in dem Lokal nur die Bütower Honoratioren sowie die Gutsbesitzer aus der Umgebung, die meisten mit ihren Damen. Weil Dolfi sich allergrößte Zurückhaltung auferlegte, sich nie an Unterhaltungen beteiligte und auch sonst nicht unangenehm auffiel, sich weder großspurig noch knickerig zeigte, gewöhnte man sich allmählich an den „Außenseiter am Ecktisch“.

In der ersten Zeit war herumgerätselt worden, wer er sein könne, und die Mutmaßungen bewegten sich zwischen dem neuen Gutsbesitzer auf Jerskewitz und dem ebenfalls neuen Inhaber des Sägewerks in Neukrug, die noch niemand persönlich kannte. Schlußendlich aber nahm kaum noch einer von ihm Notiz, und das war Adolf gerade recht. Einmal aber zog er doch unfreiwillig das Interesse der anderen Gäste auf sich, und das kam so:

An einem grimmigen Wintertag, als ein eisiger Ostwind um die Mauern der ehrwürdigen Ordensburg heulte und Schneeflocken die Lange Straße hinunter wirbelten, genoß Dolfi wieder einmal die behagliche Atmosphäre des Hotels, zunächst bei einem Glas Bier und einem Stumpen, weil es fürs Mittagessen noch zu zeitig war. Am Tisch nebenan hatte sich ein junges Paar niedergelassen, das so gar nicht in die Kleinstadtgegebenheiten hineinpaßte; sie ein bißchen zu auffallend herausgeputzt und zu sehr die „Dame“ betonend, er dagegen ganz Galan, also auch nicht gerade typisch für Bütower Kavaliere. So dauerte es gar nicht lange, bis sich immer wieder mißbilligende Blicke auf die beiden richteten, die zu allem Überfluß auch noch zu erkennen gaben, wie sehr sie sich „diesen Landpomeranzen“ überlegen fühlten.

An diesem unliebsamen Treiben nahm sogar der sonst kreuzbrave Karo Anstoß, wenn auch aus einem ganz besonderen Grund. Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit gähnte er ein paarmal laut und scharwenzelte dann um das junge Paar herum, mit einer sichtlichen Vorliebe für die Knickerbocker des Galans, an denen er schweifwedelnd herumschnüffelte. Offenkundig witterte er den Besitzer einer läufigen Hündin, denn er ließ sich endlich zufrieden knurrend an den Füßen des jungen Mannes nieder, seinen struppigen Kopf auf dessen einen Halbschuh legend. Der Galan rückte auf seinem Stuhl unruhig hin und her, Struck böse Blicke zuwerfend, die dieser, scheinbar intensiv mit dem „Bütower Anzeiger“ beschäftigt, überhaupt nicht beachtete. Endlich wurde dem Galan die Sache zu bunt und er raunzte unwillig:

„Mein Herr, rufen Sie augenblicklich Ihren Köter weg! Ich merke schon, wie mir ein Floh am Bein hochkrabbelt!“

Dolfi ließ daraufhin die Zeitung sinken, musterte sein Gegenüber sekundenlang, und weil er sich über dessen rüden Ton ärgerte, konterte er schlagfertig:
„Karo hierher, der Herr hat Flöhe!“ Worauf der Rüde folgsam unter den Ecktisch zurückkehrte.

Wie schon erwähnt, handelte es sich um ein vornehmes Lokal, weshalb es kein lautes Gelächter gab, aber die meisten Gäste warfen sich verständnisinnige Blicke zu, weil sie dem Angeber diese Abfuhr von Herzen gönnten. Und der hatte verstanden, denn er beglich die Zeche und verließ mit hochrotem Kopf gemeinsam mit seiner aufgetakelten Fregatte das Lokal.

Der einsilbige „Außenseiter vom Ecktisch“ war zweifelsfrei der Held des Tages, und niemand fand etwas dabei, als er nach dem Mahl seinem Karo den Karbonadeknochen zuwarf, den der sich ja redlich verdient hatte. Über Dölfchens schlagfertige Abfuhr haben die Gäste in dem feinen Lokal in der Langen Straße noch manchesmal geschmunzelt, wenn die Rede auf „den Herrn mit den Flöhen“ kam.


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