Weitere Geschichten aus dem Kreis Bütow von Georg Sonnenburg © 1986-2001
Erstveröffentlichung in: Die Pommersche Zeitung vom 6.7.1996


Unrecht Gut gedeihet nicht

Boll stand vor seinem Feld und zog die Stirn in krause Falten. Was ihn schon seit geraumer Zeit unablässig beschäftigte, ihm das schmackhafteste Essen vergällte und ihn nachts schlaflos hin und her wälzen ließ, das setzte ihm auch in diesem Augenblick dermaßen zu, daß er knirschend die Zähne zusammenbiß. Schuld an seinem beklagenwerten Zustand hatte der Gutsbesitzer, oder genauer gesagt dessen Inspektor - oder, noch deutlicher, Boll selbst. Aber dies zuzugeben wäre ihm nicht mal im Traum eingefallen.

Dabei hatte alles ganz harmlos angefangen, wie das nicht selten im Leben ist, wenn uns später große Sorgen plagen. Bolls Acker grenzte an ein Gutsfeld, das Steinkamp genannt wurde, weil es dort besonders viele Steine gab. Der Boden dort war aber trotzdem sehr ertragreich, und dieser Umstand war es auch, der es Boll in den Sinn kommen ließ, die Grenze an dieser Stelle „blot e bitzke“ zu seinen Gunsten zu verändern, zumal der unscheinbare Stein, der den Rain zwischen den Feldern bezeichnete, sowieso schon im hohen Gras nicht mehr zu sehen war. Aus diesem Grund hatte Boll ihn eingegraben und einen besonders üppigen Grasbüschel an seine Stelle gepflanzt.

Zuerst hatte er den Acker nur um eine Pflugbreite verändert, doch waren mit den Jahren drei weitere Pflugbreiten hinzugekommen, und Boll freute sich im wahrsten Sinne des Wortes diebisch, wie gut Getreide oder Kartoffeln gerade auf diesem „Strehmel“ wuchsen. Der Gutsherr, ein schon betagter Mann, hatte von dem frevelhafen Treiben seines Nachbarn nichts bemerkt, und da sein Sohn bei den Blücherhusaren in Stolp diente und sich um den väterlichen Besitz wenig scherte, war Boll sich seiner Sache sicher gewesen.

Nun ist aber der Teufel bekanntlich ein Eichhörnchen, denn der betagte Gutsherr hatte zusätzlich zu seinem gleichfalls nicht mehr jungen Inspektor vor ein paar Monaten einen Eleven eingestellt, der sich auch um Kleinigkeiten kümmerte, und diesem „Luntrus“, wie Boll ihn bezeichnete, war irgendwann auch die „versetzte“ Grenze am Steinkamp aufgefallen.

Boll hatte gleich nichts Gutes geschwant, als er von seinem Wrukenfeld aus den jungen Mann beobachtete, wie der vergebens nach dem Feldstein gesucht hatte, der spurlos im Erdreich untergetaucht war. Zwar tat Boll so, als wäre er besonders eifrig mit den Peden zwischen seinen Wrukenpflanzen beschäftigt, doch ließ er in Wahrheit kein Auge von dem „Luntrus“, der suchend am Feldrand auf und ab ging.

„Ach, kommen Sie doch mal her!“ schallte es da auch schon an sein Ohr, und Boll ließ unwillkürlich die Hacke zu Boden fallen, so sehr erschrak er bei dieser Aufforderung.

Der „Luntrus“ hatte sich breitbeinig aufgebaut und sah Boll streng entgegen, der mürrisch der Aufforderung gefolgt war.

Zu allem Überfluß kam ausgerechnet in diesem Moment der alte Inspektor angeritten und wurde mit kurzen Worten über den verschwundenen Grenzstein informiert.

„Das ist ja interessant“, brummte der und stieg vom Gaul. Er musterte Boll gleichfalls nicht gerade freundlich, der verlegen vor den beiden stand und an seiner Joppe herumfummelte. Auf die Frage, ob ihm nicht auch aufgefallen sei, daß hier kein Grenzstein mehr stehe, stellte sich Boll bewußt dumm, was ihm nicht sonderlich schwerfiel.

„Keine Ahnung nich“, brummelte er und zog die Schultern hoch. „Hab' mich uch deswejen keine Gedanken nich jemacht“, fügte er hinzu, weil die beiden ihn mißtrauisch ansahen.

„Aber ich schon“, erwiderte der Eleve unfreundlich. Er nickte dem Inspektor bedeutsam zu.

„Jeklaut wird ihn doch wohl keiner nich haben...“ , versuchte Boll abzulenken.

„Unsinn!“ fuhr ihn der Inspektor an.

„Grenzsteine klaut man nicht, die versetzt man höchstens“, belehrte ihn der naseweise Eleve und pfiff zur Bestätigung seiner Worte durch die Zähne.
„Wir werden ihn schon finden“, erklärte der Inspektor darauf. Im Fortgehen setzte er hinzu: „Da haben Sie sich eine böse Suppe eingebrockt, Boll.“
Das Gesicht des Angesprochenen verdüsterte sich bei dieser Bemerkung noch mehr, und er kehrte mit wankenden Knien auf sein Wrukenfeld zurück, während die Gutsbeamten heftig diskutiertend davonritten. So und nicht anders hatte das Unheil angefangen, und noch am selben Tage hatte ein halbes Dutzend Scharwerker den verschollenen Grenzstein gefunden und ausgegraben, womit bewiesen war, daß Boll jahrelang zu Unrecht fremden Boden genutzt hatte. Dieser Tage nun war dem Frevler ein „blauer Brief“ ins Haus geflattert, in dem kurz und bündig stand, daß das Rittergut auf den gerichtlichen Weg zwecks Schadensersatz verzichte, wenn Boll sich bereiterkläre, eine „angemessene Sühne“ zu leisten.

Diese „angemessene Sühne“ setzte Boll besonders zu, wußte er doch nichts Rechtes damit anzufangen. Nach einigem Zögern zog er seinen Nachbarn Kowalski ins Vertrauen und beichtete ihm „diese verfluchte Sauerei“, womit er nicht das eigene Fehlverhalten, sondern das des „Spekters“ meinte, der nach seiner Auffassung die Nase in Angelegenheiten gesteckt hatte, die ihn nichts angingen.

Zu Bolls Enttäuschung sagte Kowalski dazu erst mal gar nichts, sondern massierte geraume Zeit seine riesige Gurke, deretwegen Spötter behaupteten, er habe bei der Nasenverteilung zweimal „hier“ gerufen, ehe er undeutlich etwas murmelte, das sich wie „weit uck nich so recht...“ anhörte. Das war für Boll auch nicht gerade der Weisheit letzter Schluß, und er ärgerte sich, den Nachbarn überhaupt eingeweiht zu haben.

Es vergingen abermals einige nervenzehrende Wochen, ohne daß Näheres bekannt wurde, allerdings hatte Boll beobachtet, wie Gutsarbeiter jene drei Wrukenreihen „schleiften“, die ihm nicht gehörten, was ihm wegen der prächtig gewachsenen Kohlrüben in der Seele weh tat. Obwohl ihn dies schmerzte, hoffte er doch heimlich, daß sich „das Gut“ damit zufrieden geben werde. Damit irrte er sich aber, denn gleich tags darauf erschien Briefträger Ziegert bei ihm und händigte ihm einen neuen „blauen Brief“ aus. Boll enttäuschte den neugierigen Postboten jedoch, indem er den Umschlag nicht in dessen Gegenwart öffnete, sondern damit wartete, bis Ziegert außer Sichtweite war. Dann riß er das Kuvert mit zitternden Fingern auf und las mit bebenden Lippen, daß ihm die Kreisbehörde sage und schreibe wegen des „angerichteten Schadens“ eine Strafe von 150. -RM aufgebrummt hatte, die „für wohltätige Zwecke“ zu entrichten sei. Damit wäre die Angelegenheit ein für allemal „aus der Welt geschafft“.

„Hundertfuffzig Mark!“ stöhnte Boll und hielt sich an der Wagenrunge fest, weil die Beine unter ihm nachgaben. Es dauerte eine ganze Weile, bis er sich mit ein paar saftigen Flüchen Erleichterung verschaffte und danach abermals zu Kowalski ging. Mit irgend jemandem mußte er über die fatale Geschichte reden, denn geteiltes Leid ist nur halbes Leid. Diesmal brachte Kowalski allerdings klar und deutlich hervor, „dat do nich veel to moke“ sei.

Und eben diese wenig trostreiche Eröffnung war es, die Boll im Augenblick zusetzte, weil auch ihm kein Gegenmittel eingefallen war. Hundertfünfzig Mark! Da konnte einem wahrhaftig übel werden. Aber dann stieg elende Wut wegen soviel Ungerechtigkeit in ihm auf und er faßte den spontanen Entschluß, nach Bütow zu fahren und dort mit dem Landrat persönlich Fraktur zu reden. Vielleicht konnte er die Summe auf fünfzig oder wenigstens hundert Mark senken.

Er weihte Kowalski in den neuen Plan ein und war enttäuscht, als der nur zweifelnd „wiste dat warraftig moke...?“ stotterte. Boll beharrte bei seinem verwegenen Plan und wischte weitere Bedenken des anderen mit einer heftigen Handbewegung beiseite. Ihm setzte immer noch Zorn über vermeintliches Unrecht zu.

Der Rest ist schnell berichtet.

Gemeinsam mit dem treuen Kowalski reiste Boll tags darauf wirklich in die Kreisstadt, wo sich ersterer allerdings vor dem Landratsamt von ihm trennte. Wollte er doch nicht Zeuge eines Dramas werden, wenn Boll seine in der Bahn ausgesprochenen Drohungen wahr machte. Während Boll ohne ein weiteres Wort in dem großen Gebäude verschwand, wartete Kowalski ungeduldig auf splitternde Fensterscheiben und herausgeworfene Aktenordner und wirkte ein bißchen enttäuscht, als nichts passierte. Es dauerte ungefähr eine Viertelstunde, dann tauchte Boll wieder auf und steuerte sichtlich kleinlaut auf seinen Nachbarn zu, der ihm erwartungsvoll entgegensah.

„Häst et emm jewe?“ erkundigte er sich schließlich, weil Boll nichts sagte.

Der schnaufte ein paarmal geräuschvoll, ehe er mit geballter Faust zum Landratsamt hinüber drohte:

„Do misd dat Jewitter inschlone!“

Nach diesem Ausbruch eilte er mit so ausgreifenden Schritten davon, daß Kowalski ihm nur mit Mühe folgen konnte. Boll gab auch dann keine nähere Erklärung ab, als sie in der Bahnhofsgaststätte schon „einen gekümmelt“ hatten, obwohl Kowalski ihn bedrängte, doch „endlich auszupacken“. Und da er auch später wie ein Grab schwieg, wird es immer ein Geheimnis bleiben, was sich damals im Bütower Landratsamt abgespielt hat. Die 150. -RM „für wohltätige Zwecke“ mußte Boll wohl oder übel berappen, das zumindest steht fest.


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