Weitere Geschichten aus dem Kreis Bütow von Georg Sonnenburg © 1986-2001
Erstveröffentlichung in: Die Pommersche Zeitung vom 21.3.1992


Der große Zecher in „Borks Krug“

„Nomen est omen“ sagten schon die Römer, und diese Last spürte auch er, denn er hieß Elend. Nun wird jeder zugeben müssen, daß es schlimmere Namen gibt als den, unter dem er litt, doch er hatte auch einen Vornamen, um den ihn im pommerschen Grenzland niemand beneidete, nämlich Stanislaus. Daß sich damit unterschwellig - zuweilen auch oberschwellig - die Vermutung verband, er wäre Pole, bereitete ihm manche schlimme Stunde.

Dabei hatten sich seine Eltern durchaus etwas dabei gedacht, als sie ihn auf diesen Vornamen taufen ließen, hatte doch sein Urgroßvater väterlicherseits Stanislaus geheißen, der sich in der legendären Reiterschlacht bei Vionville so wacker geschlagen hatte, daß er dafür nicht nur das Eiserne Kreuz sondern auch einen anerkennenden Handschlag des preußischen Königs Wilhelm, des spätern Deutschen Kaisers Wilhelm I. erhalten hatte. Davon allerdings hatte Stanislaus wenig, und ebenso nützte es ihm wenig, daß sein Ahnherr sich kurz nach dem Ereignis vom polnischen Bieda (sprich Biädda) ins deutsche Elend umtaufen ließ. Als wackerer Deutscher, als der er sich nun fühlte, hatte er außerdem seinen Wohnsitz vom westpreußischen Sullenschin ins pommersche Lupowske (später Grünenwalde) verlegt. Später verzog er nach Slupp an der Stolpe,

In den dortigen unendlichen Wäldern wuchs Stanislaus auf und erfuhr erst mit den Jahren, welch ein Unsegen mit seinem Vornamen auf ihm lastete. Dies war es aber nicht allein, was ihn als Makel durchs ganze Leben begleitete, denn er war ungewöhnlich klein von Wuchs, hielt es hiermit zwar kühn mit Napoleon, erreichte allerdings nicht dessen ideelle Größe, und dann war Napoleon auch schon lange tot, während er mit seiner Kleinheit weiter durchs Leben gehen mußte, das ihn immer wieder mit Spott überzog.

Nach dem Tod seiner Eltern schlug sich Stanislaus mehr schlecht als recht als Lumpensammler durch, unterstützt von zwei Rüden, die das Wägelchen zogen, mit dem er „Lumpen, Eisen, Knochen und Papier“ einsammelte. Allein dieses Gefährt brachte ihm zusätzlichen Spott ein und ließ ihn manchmal schier verzweifeln. Schlimm war zusätzlich, daß er kein passendes Weibchen finden konnte, weil die holde Weiblichkeit im wahrsten Sinne des Wortes über ihn hinwegsah. So wurde Stanislaus mit den Jahren immer absonderlicher und hörte nur noch mit halbem Ohr hin, wenn die übermütige Jugend ihn mit Zurufen wie „Utschrobsel“, „Kuhlborsch“ oder „Muersegler“ beschimpfte (letzterer Ausdruck bezog sich auf seine entsetzlich abstehenden Ohren).

Schließlich wurde Stanislaus des Lumpensammelns müde und legte sich ein „Bullkalb“ zu, das er - nachdem ihm die Männlichkeit genommen - liebevoll aufzog und sodann alle möglichen Lohnarbeiten mit dem neuen Gespann ausführte. Da dies meist bei wenig bemitttelten alleinstehenden Frauen geschah, bekam er bald den zusätzlichen Spottnamen „Witwentröster“. Übrigens war sein Zugochse, den er zärtlich Mäxchen nannte, gleichfalls klein geraten, paßte also größenmäßig sehr gut zu seinem Herrchen.

An einem Juniabend, als der Vorschnitt noch nicht gemäht war, Kartoffeln und Wruken aber schon auf dem Feld wuchsen, die Bauern folglich ein bißchen Zeit hatten, war „Borks Krug“ ziemlich voll, als Stanislaus dort unerwartet eintrat, sich schüchtern an einen leeren Tisch setzte und ein Bier bestellte, seine Äuglein dabei unablässig über die anwesenden Männer gleiten lassend, die ihn wie eine Geistererscheinung anstarrten. Noch nie hatte ihn nämlich jemand in einem Gasthaus gesehen. Borks Max, der älteste Sohn der Wirtin, fragte hämisch, kaum daß Stanislaus das Glas angesetzt hatte:

„Paßt denn öwerhaupt 'n chanzet Glas in die Männeken rin?“

Schallendes Gelächter antwortete auf diese provozierende Frage. Stanislaus wischte sich bedächtig den Bierschaum ab und entgegnete aufmüpfig:
„Ick un noch ein', wi beids supe mehr as ji alle tosammen.“

„Hebb ji dat hört...“ Borks Max kriegte sich nicht wieder ein. Auch die anderen Männer machten abweisende Gesichter. Endlich fragte Bachers Reinhold, ein bedächtiger Mann mit einem riesigen Schnauzbart, zweifelnd:

„Du un noch ein... ?“

„Jo ick un noch ein“, wiederholte Stanislaus und trank noch einen Schluck.

„Ick wett mit di, dat du dat nich kast“, mischte sich Pollacks Hermann ein, der auf Großsprecher einen Rochus hatte. Er stand auf, trat an Elend heran und streckte seine Hand aus. „Schlog in!“ forderte er ihn barsch auf.

Zur allgemeinen Verwunderung schlug der Knirps ohne zu zögern ein und erwiderte:

„Up 'n Kasten Bier.“

„Die Wette gilt!“ rief Polzins Paul. „Nu hol ober uck din Supkumpan“, forderte er Elend ungeduldig auf. Er war gespannt, wer der zweite trinkfeste Säufer war. Es mußte schon ein Kerl besonderer Art sein, weil der Zwerg Elend kaum viel Bier vertragen konnte.

„Ob hei Borrasse hole deit?“ mutmaßte Alsbrechts Max, kaum daß Elend den Raum verlassen hatte. Offenkundig war er genauso neugierig wie Polzin. Er spielte auf den Förster von Eichenau an, der als besonders trinkfest galt.

„Dat glöw ick nich“, ließ sich Post-Herrmann vernehmen, „dei lätt sich mit demm Utschropsel nich in.“ Da der Posthalter zu den Honoratioren des Dorfes zählte, galt seine Meinung etwas und er erntete zustimmendes Nicken von allen Seiten.

Der helle Sommerabend ging allmählich schon in die kurze Nacht über, und die Männerrunde war schon merklich ungeduldig geworden, als es im Flur plötzlich polterte und vernehmlich schnaufte und prustete. Noch bevor jemand deswegen seine Verwunderung äußern konnte, ging die Tür auf und Elend erschien, irgend jemand am Strick hinter sich herziehend.

„Dunnerwettstock ober uck!“ brach es aus Bachers August heraus, der der Tür am nächsten saß, denn dem Knirps folgte auf dem Fuße ein Rindvieh.
Mäxchen, denn um keinen anderen handelte es sich, blieb zwischen den Tischen stehen und bewegte den mächtigen Schädel schnaufend hin und her.
„'n Emmer Bier!“ wandte sich Elend an die Wirtin. Während sich die gehorsam ans Werk machte, grunzte Polzin ungläubig: „Dat ist nich to glöwen...“ An den Gesichtern der anderen war abzulesen, daß alle so dachten wie er.

Das Nachfolgende ist schnell erzählt.

Elend trank den ersten beachtlichen Schluck aus dem Biereimer und stellte ihn dann dem Ochsen hin. Mäxchen senkte das gehörnte Haupt und trank mit sichtlichem Genuß den edlen Gerstensaft aus, sich anschließend muhend nach mehr umsehend.

„Mokt uns dat no“, ermunterte Elend die Männerrunde. Sekundenlang herrschte betretenes Schweigen, dann erklärte Pollack kurzangebunden:
„Ick jew mi jeschlone“. Er hatte keine Lust, noch einen Eimer voll Bier zu verlieren. Die dämliche Wette und die berechtigte Sorge, was seine Frau dazu sagen würde, machten ihn auch so schon ganz dammlich.

„Denn hebb ick jewunne“, strahlte Stanislaus. Er verschwand mit seinem Ochsen nach draußen, weil er befürchten mußte, daß der Alkohol Mäxchen übermütig werden ließ und er womöglich die Tische umschubste.

Von dieser Wette wurde in der Folgezeit noch viel gesprochen, und Elend war in den Augen seiner Mitmenschen unvermittelt so etwas wie ein besonders aufgeweckter Kerl geworden, den von Stund an keiner mehr zu hänseln wagte. Sein ungewöhnlicher Einfalls hatte ihm jene Achtung eingebracht, nach der er vorher vergeblich getrachtet hatte.


Bereitgestellt von: Heimatkreis Bütow http://www.buetow-pommern.info

                         E-mail: arrendator@kreis-buetow.studienstelleog.de
                         © Klaus-Dieter Kreplin, Am Südhang 14, D-58313 Herdecke 2004