Weitere Geschichten aus dem Kreis Bütow von Georg Sonnenburg © 1986-2001
Erstveröffentlichung in: Die Pommersche Zeitung vom 26.8.1995


Einquartierung in Bütow

Wir saßen in Tawern, einem ansehnlichen Ort an der Grenze zu Luxemburg, gemütlich bei einer Flasche Moselwein beisammen und erzählten von alten Zeiten. Hausherr Matthias, in Tawern geboren und aufgewachsen, hatte seine Frau aus meinem Heimatdorf geholt. Beide hatten sich in Bütow kennengelernt, wo Matthias als Angehöriger der 60. Infanteriedivision im Jahre 1940 einquartiert gewesen war. Im Jahre 1943 hatte er in der dortigen Katharinenkirche seine Braut vor den Traualtar geführt, wo Pfarrer Genge beider Bund fürs Leben schloß.

Für mich war interessant, wie positiv Matthias unsere von manchen aus Unkenntnis verspottete pommersche Heimat beurteilte, die er seinerzeit als Soldat ausgiebig Gelegenheit hatte, kennenzulernen. Regelrecht begeistert zeigte er sich noch nach so vielen Jahren, wie ihn sein zukünftiger Schwiegervater vom Bahnhof Jassener See zum erstenmal mit der Kutsche, vor der zwei feurige Gäule schnaubten, abholte und mit ihm durch den Kiefernwald und an wogenden Getreideschlägen vorüber nach Bresinke kutschierte. Nicht weniger hatte ihn damals der Bauernhof, aus dem seine Angebetete stammte, beeindruckt.

„Etwas Vergleichbares gab es damals bei uns überhaupt nicht“, bekannte er und räumte freimütig ein, daß seine Heimat, die Eifel, gemessen am damaligen Hinterpommern, eine geradezu blutarme Gegend war.“ Was ich damals in Pommern sah und erlebte“, berichtete er weiter, „das war gediegen und ließ Wohlstand erkennen.“

Nachstehend nun aber zur Einquartierung in Bütow, von der Matthias viel zu berichten wußte:

Die Division kehrte aus siegreichem Westfeldzug in die Heimat zurück, doch fanden die Soldaten, die, wie Matthias , in Kolberg stationiert gewesen waren, ihre Kasernen besetzt vor, weil neue Einheiten aufgestellt wurden. Dies war für das Bataillon der Grund, für einige Zeit in Bütow untergebracht zu werden. Während viele einfache Soldaten in Gemeinschaftsunterkünfte eingewiesen wurden, erhielten die „Chargierten“ (Matthias war damals schon Unteroffizier) Quartiere bei Familien in der Stadt zugewiesen. Er selbst hatte das Glück, im Apothekerhaus am Marktplatz unterzukommen, von wo aus es zum Hotel „Höllje“ in der Langen Straße nicht weit war.

Matthias und seine Kameraden erlebten in Bütow eine Einquartierung, wie - er betonte dies immer wieder - in seinem ganzen Soldatenleben nicht noch einmal. Wie im Grunde alle Pommern, so waren auch die Bütower ausgesprochen militärfreundlich und empfingen „ihre“ Soldaten, die ja aus siegreicher Schlacht heimkehrten, mit entsprechender Begeisterung. Insbesondere die privat untergebrachten Feldgrauen wurden auf eine ihnen bis dahin nie begegnete Weise verwöhnt und beinahe verhätschelt. Das Beste war für sie gerade gut genug, und wenn sich Quartiergeber und Einquartierte abends in einem der zahlreichen Lokale in der Innenstadt versammelten, dann wäre es ein unentschuldbarer Fauxpas gewesen, wenn einer der Soldaten beim Aufbruch nach dem Portemonnaie gegriffen hätte.

Matthias wurde von seinem Gastgeber (Apotheker Diedrichs ?) allabendlich ins erwähnte Hotel „Höllje“ in der Langen Straße“ entführt“, wo sie sich mit Gleichgesinnten trafen und wo es regelmäßig hoch herging. Während die Soldaten von ihren Kriegserlebnissen berichten mußten und die Bütower buchstäblich an ihren Lippen hingen, vergaßen diese aber nicht, immer wieder „eine Lage zu schmeißen“, weshalb der Ausgang der meisten Zusammenkünfte Matthias heute ziermlich nebulös erscheint. Er erinnerte sich schmunzelnd, daß sogar die Polizei beide Augen zudrückte und sich um die Sperrstunde praktisch nicht kümmerte. Sie glaubte wohl, „ihren“ Soldaten dieses Entgegenkommen schuldig zu sein.

Mochten diese Herrenabende in den Bütower Lokalitäten auch noch so feucht-fröhlich zugegangen sein, für Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere begann am nächsten Morgen der Dienst stets zur festgesetzten Zeit, und wehe dem, der beim Morgenappell unangenehm aufgefallen wäre. Hier herrschte immer noch der alte preußische Grundsatz: „Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps“. Matthias' Spieß drückte es rüde mit eigenen Worten aus: „Wer saufen kann, der kann auch aufstehen.“

Tagsüber ging es also fleißig „rund“, denn es wurde exerziert oder in der näheren Umgebung der Stadt Felddienstübungen abgehalten, bei denen keinem etwas geschenkt wurde. Schließlich war der Krieg ja noch nicht zu Ende, wenn auch viele den Frieden in greifbarer Nähe glaubten.

Es entbehrte allerdings nicht humorvoller Erelebnisse, an die sich Matthias gern erinnerte. So zerstob sein Zug bei einer Geländeübung mit Platzpatronenfeuer einem Schäfer die gesamte Herde, denn die Tiere rasten erschrocken in alle Himmelsrichtungen davon und brachten ihren Hüter schier zur Verzweiflung. Nachdem die Landser ihn zu einem Umtrunk aus ihren mit Hochprozentigem gefüllten Feldflaschen eingeladen hatten, wurde er wieder ruhiger und sang ihnen zum Schluß sogar noch „Schäfers Morgenglied“ mit wohltönender Stimme vor („Ich bin allein auf weiter Flur...“). Ganz versöhnt zeigte er sich aber erst, als ihm die Soldaten auf Befehl des Zugführers die zersprengte Herde zusammengetrieben hatten.

Ein andermal „überfielen“ die Soldaten einen langsam herandampfenden Güterzug auf der Strecke Bütow - Sonnenwalde und setzten Lokführer und Heizer schachmatt. Gemeinschaftlich wurde wieder aus den schon erwähnten Feldflaschen getrunken und auf der außerplanmäßig angehaltenen Lokomotive Versöhnung gefeiert, die mit lautsark abgesungenen Soldatenliedern ihren Höhepunkt erreichte. Letztendlich waren die Eisenbahner ja auch Altgediente, und auf eine Viertelstunde früher oder später schien es auf dieser Strecke nicht anzukommen. (Wie so etwas in unserer humorlosen Zeit wohl aufgenommen werden würde...?)

Besonders angenehme Erinnerungen verbinden sich für Matthias mit einem Marsch an den Jassener See, bei dem der Hauptmann seinen Männer das Letzte abverlangte, zumal es ein glühendheißer Augusttag war. Bei einer Rast nahe der Jugendherberge von Grünenwalde durfte im kristallklaren Wasser des großen Sees gebadet werden, was den Rückmarsch mit vollem Marschgepäck viel leichter machte.

Es versteht sich von selbst, daß die einrückenden Kompanien die Bütower mit Marschliedern erfreuten, welche es ganz besonders den Mädchen angetan hatten, die „ihre“ Soldaten gegen Feierabend meist schon in den offenen Fenstern erwarteten und ihnen Kußhände zuwarfen, eine jede dem „ihren“. Einmal klappte der Gesang nicht so recht, weil die Männer schon gute fünfzig Kilometer hinter sich hatten und hundemüde waren. Nach dem dritten vergeblichen „Anlauf“ ließ der Kompaniechef - selbst „hoch zu Roß“ an der Spitze - seinen „Haufen“ kehrt machen und an der Ordensburg vorbei bis nach dem nächsten Dorf (vermutlich Mangwitz) zurück marschieren.

„Als wir dann wieder in die Stadt einrückten, hat's aber wie am Schnürchen geklappt“, bemerkte Matthias dazu, denn noch einmal zurück wollte von den ausgepumpten Männern keiner. „Wir sangen damals 'Zu Sanssouci am Mühlenberg'„ erinnerte er sich weiter, „und genau wie in dem Lied hingen die Mädchen bei unserem Einmarsch überall aus den Fenstern heraus. Und: „Die Pommern waren in dieser Hinsicht eben einsame Klasse“, fügte er nach einem Schluck Mosel sinnend hinzu.

Als Unteroffizier durfte er sich schon „einiges“ herausnehmen. So nahm er seine Ella einmal mit in die Gemeinschaftsunterkunft der Landser, was streng verboten war. Und weil er sich vor ihr aufspielen wollte (er war damals ganze 23 Lenze alt), zog er ihr vorher einen Kradmantel an, stülpte ihr einen Stahlhelm auf den Kopf, verfrachtete sie in den Beiwagen und fuhr so an dem salutierenden Torposten vorbei mit dem Krad in die Unterkunft und danach auch wieder hinaus. Um seiner Ella noch mehr zu imponieren, gab er auf der Langen Straße erst richgig Gas und fegte mit beachtlicher Geschwindigkeit an seinem eigenen Quartier vorbei. Um ein Haar wäre die unerlaubte Fahrt an der Kurve bei „Manske“ („Wenn Kleidung, dann Manske“) zu Ende gewesen, weil Mattias das B-Krad nur mit Mühe auf dem Gehweg herumreißen und eine Bruchlandung im Schaufenster von „Jütten“ mit knapper Not vermeiden konnte. Ellas Angstschreie gingen ihm dabei mindestens genauso unter die Haut, wie die Aussicht auf ein paar Tage „Bau“, die unweigerlich fällig gewesen wären, wäre seine Schwarzfahrt ruchbar geworden. So kamen beide noch mal mit dem Schrecken davon - und Glück muß ein Soldat ja haben ...

Seinen sich bis tief in die Nacht ausdehnten Bericht über die denkwürdige Einquartierung in unserem unvergeßlichen Bütow beendete Matthias dann noch mit einer heiteren Begebenheit bei einem Morgenappell auf dem Schützenplatz. Die Kompanie war im offenen Karree angetreten und der Spieß machte gerade dem herankommenden Chef Meldung, als in die folgende sekundenlange Stille hinein jemandem etwas Menschliches-Allzumenschliches passierte, das sich mit Urgewalt einen Ausweg gesucht hatte. Chef und Spieß riß es gleichzeitig herum, von wo der harsche Wind gekommen war, und schon sah der Hauptmann einen Landser im zweiten Glied puterrot anlaufen.

„Vortreten, Kruschinsky!“ befahl er mit metallischer Stimme.

Der Schütze bewegte sich befehlsgemäß aus dem Glied und baute sich mit schlotternden Knien drei Schritte vor seinem Allgewaltigen auf, der ihn mit zusammengezogenen Brauen unheilvoll musterte.

„Was hast du Ferkel dir dabei gedacht?!“ raunzte der Kompaniechef den Unglücksraben an, währen der Spieß mit angehaltenem Atem daneben stand.

Die stotternd vorgebrachte Entgegnung lautete:

„Herr...Hau... Hauptmann, ich dacht', er würde leiser kommen.“

Da zuckte es verdächtig im Gesicht des Kompaniechefs, und sogar der stets bärbeißig dreinschauende Hauptfeldwebel konnte nur mit Mühe ein Grinsen unterdrücken.

„Zurücktreten!“ befahl der Hauptmann, der sich nur mit einem Biß auf die Unterlippe vor einem Lachanfall retten konnte, der seiner Autorität nicht bekommen wäre.

Der Soldat Kruschinsky kehrte nach einer zackigen Kehrtwendung mit festeren Schritten als zuvor an seinen Platz im zweiten Glied zurück; die Erleichterung über diesen Ausgang stand ihm ins Gesicht geschrieben. Im übrigen war die Angelegenheit für alle Beteiligten ein für allemal erledigt, nur an den Stammtischen in Bütow wurde noch eine Zeitlang über das humorvolle Ereignis herzhaft gelacht.

Immerhin, Schlagfertigkeit, gepaart mit Ehrlichkeit, kam auch beim preußischen Kommiß fast immer an, und beides hatte der pommersche Grenadier Kruschinsky aus dem Kreis Schlawe bewiesen.


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